In ihren Ausführungen über pro und kontra von Partnerschaften hielt Miri spontan inne, als Anne gerade an dem Laden-Bistro vorbeifuhr. „Anne, ich möchte hier in dem Bioladen gern eine Kleinigkeit kaufen, kannst du bitte wenden und auf den Parkplatz zum Bistro fahren“? Anne war nicht darauf vorbereitet, ohne Hinterfragung gelang ihr das sehr schnell bei dem wenigen Verkehr. Leider fuhr sie danach an der wegen parkender Autos nicht gut einsehbaren Einfahrt vorbei, so dass Miri bedauerte, nicht zeitig genug ihren Wunsch geäußert zu haben. Für Anne war es eher befremdlich, auf dem Matsch-Parkplatz auszusteigen. Im engen Geschäft suchte Miri nach der fehlenden Zahnpaste. Anne fand am großzügigen Brot- und Kuchenstand zwei Gebäckstücke mit der Bemerkung:“ Du hast doch auch meist eine Köstlichkeit für uns dabei“. Miri erkundigte sich, ob es etwas zu essen gäbe, woraufhin Anne hören ließ: „ Ich habe gut zu Mittag gegessen“, zu gleicher Zeit hatte Miri gefrühstückt, da sie stets spät zu Bett geht und entsprechend spät aufsteht.
Sie fuhren weiter zum weitläufigen Zentrumsparkplatz.
Mit dem Gang über die menschleere Seebrücke eröffneten sie ihren Bummel durch Boltenhagen, im Lockdown. Der Blick in die unbeleuchteten Schaufenster wirkte trostlos und langweilig. Beim Vorbeigehen erwähnte jede ihr ehemals bevorzugtes Geschäft. Das konnte nicht ein und dasselbe sein, da ihre Kleidung in Stil und Farbe sehr unterschiedlich war. Anne trägt gern dunkle, gedämpfte Farben, typisch dazu in gleicher Nuance das schmeichelnde Halstuch. Miri setzt zu heller Kleidung meist farbige Akzente.
Über die Einladung zu einer Lesung haben sie sich vor knapp zwei Jahren kennengelernt, als Anne gerade wieder auf die Insel zurückgekommen war, als echte Insulanerin. Zu der Zeit hatten sie beide neben unterschiedlicher Berufstätigkeit schon etwas veröffentlicht. Anne Belletristisches, Miri Fachliches.
Als sie gerade im Gespräch innehielten, standen sie zufällig vor dem dunklen Indienladen, den Miri früher nie übersehen hätte durch sein typisch leuchtendes, ansprechendes Ambiente außen und innen.
Der Tag war frühlingshaft, sonnig, obschon vor einer Woche noch ein kurzer Wintertraum die Erde verzaubert hatte.
Nach der Geschäftsmeile folgen prächtige Villen, schöner Bauart. An einem architektonisch, gediegenen, blauen Holzhaus mit versetzten Ebenen und Balkonen schaute Anne nach, was die Übernachtung kosten würde, nur so zum Spaß. Nach langem Fußmarsch über waldige Pfade kamen sie zur Standpromenade, die war an diesem Tag nicht mehr das, was sie mal war.
Oberhalb der ehemals idyllischen Sommer-Schattenpromenade, am Ende der Badebucht, stand eine metall‘ne Wegführung, die später mit Holzpaneelen trittgefälliger ausgeführt werden soll, das hatte Miri in der Zeitung gelesen und sie ergänzte abfällig: „Das ist der richtige Gang für Voyeure, am besten mit Fernglas in der Hand, hoffentlich bleibt genügend Abstand zu den zukünftigen Sonnenanbetern am Strand“.
Als sie auf das weite Meer schauten, fühlte sich Miri freudlos entrückt. Träumte sie noch von dem märchenhaften Winterbild ihres letzten Ausflugs? Sie wusste es nicht!
Anne und Miri gingen eine Weile schweigsamer in Richtung Parkplatz. Die Fahrt zurück verlief ohne Reflektion über das Erlebte, sondern über vieles, was sie verbindet.
Zurück auf der Insel, nach dem Abschied wie üblich, „Bis auf bald“, fühlte Miri sich wie narkotisiert anstelle eines freudigen Nachklangs.
Beim folgenden Austausch übers Smartphone empfand sich Miri wie in einer fremden Echokammer, als wären sie nicht zur gleichen Zeit am gleichen Ort gewesen. Am nächsten Morgen malte sie an ihrem Bild weiter. Das ist das Beste für sie, um in der Balance zu sein. Nach einem Strandgang schickte sie ihrer Tochter ein Tages-Video, woraufhin sie eine Antwort bekam: „Wenn es möglich ist, kommen wir zu Ostern zu dir auf diese schöne Insel“.
Die Summe der Dinge im Verlauf des Tages lichtete Miris Horizont. Vor dem Einschlafen ging sie nochmals alle Stationen des Ausflugs durch, um
sich zu vergewissern, was sie tangiert haben könnte. Klarsicht erfolgte recht bald: „Es war ein Ausflug zur unpassenden Zeit, zum unpassenden Ort. „Da hat mich wohl der „Corona-Blues“ erwischt“.
Ja, sie erklärte sich‘s, dass sie ritualgemäß gern mal wieder im oft besuchten Bistro gesessen hätte. Ebenso ritualgemäß wäre sie gern durch den Indienladen gegangen, in Erinnerung an eine Indienreise, nur wegen einer Kleinigkeit.
Und zum Schluss löschte das Chaos durch den Neubau an der Strandpromenade noch den letzten Freudenfunken in ihrem Gemüt. Danach bestimmte nur noch der Corona-Blues ihr Stimmungstief!
Am nächsten Tag erklärte sie sich bei Anne, die brachte ihr gegen den Corona-Blues Stücke von ihrem selbstgebackenen, flockigen Fruchtkuchen vorbei!
Originally posted 2021-04-27 09:04:00.