Die Nacht war dunkel. Der Mond und die Sterne hatten sich hinter dicken Wolken verkrochen. Der Wind pfiff eisig und trieb die ersten Schneeflocken vor sich her. Eine dünne Schneedecke hatte sich auf die Straßen, Häuser und Rasenflächen gelegt. Die Bäume und Sträucher streckten kahl und dunkel ihre Äste in die Nacht.
Martin stand fröstelnd auf der Straße. Seine Firma hatte die Mitarbeiter nach Betriebsschluss zu einer kleinen Weihnachtsfeier eingeladen und die war dann etwas länger geworden. Er wollte eigentlich nur mal kurz reinschauen und sich dann schnell wieder verdrücken. Aber, wie das so ist, er blieb hängen und feierte mit.
Er schaute auf die Armbanduhr. Es war nach 22 Uhr und morgen musste er wegen eines Termins auch noch früher raus als sonst.
Martin schwankte, dann stolperte er und rutschte aus.
„So ein Scheißdreck, muss das denn auch noch anfangen zu schneien… Oh mein Kopf, man hätte ich bloß nicht so viel getrunken.
Ist mir schlecht…Und den Cognac nach Bier und Wein, den hätte ich wohl besser nicht getrunken“, dachte er benommen.
Als Martin zu Hause ankam, stand vor seiner Wohnungstür ein kleiner, roter Plastikstiefel, aus dem Tannenzweig und ein Päckchen schauten. An dem Päckchen klebte ein Zettel mit der Schrift von seiner Freundin Julia. „Viele Grüße vom Nikolaus“, stand darauf.
Ach ja, konnte er sich gerade noch erinnern, heute ist Nikolaus.
Im Zimmer wickelte er das Päcken aus. Es war ein Adventskalender, gefüllt mit „Edle Tropfen in Nuss“. Die mochte er besonders gern, das wusste Julia. Aber heute Abend nicht mehr, dachte er und wollte nur noch ins Bett. Er schleuderte die Schuhe von den Füßen, die Hose knüllte er auf den Stuhl. Das Sakko warf er über die Stuhllehne und das Oberhemd und die Krawatte landeten irgendwie darüber. Ist doch egal, murmelte Martin, legte sich ins Bett und schlief sofort fest ein.
Die Uhr vom Kirchturm schlug 12 mal an, Mitternacht…
Ganz vorsichtig öffnete sich ein Türchen vom Adventskalender und ein Schokoladen-Nuss-Gesicht schaute durch den Spalt. Behutsam zwängte es sich durch die kleine Papptür und schaute sich um.
Alles war ruhig und Martin schlief.
Das Pralinchen pfiff laut: „Die Luft ist rein, ihr könnt rauskommen!“
Nach und nach öffneten sich Türen im Adventskalender.
„Oh Whisky, was machst du denn für einen Lärm? Du weckst noch Martin auf!“ zischte Himbeergeist und drehte sich zu seinem Nachbarn, „hallo Kirschwasser, schön, dass du auch da bist, ich liebe solche Nikolausnächte. Komm lass uns feiern!“
„Wir sollten erst mal Cognac und Calvados helfen, die haben Schwierigkeiten mit ihrer Tür, die klemmt ein bisschen.“
Inzwischen waren auch Grappa und Pfirsichlikör hinzugekommen. Gemeinsam halfen sie auch Williams-Christ-Birnenbrand, Zwetschgenwasser, Kirschlikör, Aprikosenlikör und Cassis aus ihren Türchen. Alle putzten ihre Schokoladen-Nuss-Mäntelchen auf Hochglanz und dann ging es los. Sie schlitterten auf dem glatten Schreibtisch von Martin, dass es nur so schepperte.
Krach…klirr…knirsch. „Oh Kirschwasser, du hast den Napf mit den Schreibtischutensilien umgeworfen und nun ist die Schere rausgefalle und… hat Pfirsichlikör erstochen“.
Die Schokolade und auch die Zuckerkruste waren zerbrochen und der Likör lief auf die Schreibtischplatte.
„Mmm…das tut mir leid, wir sollten uns lieber einen anderen Platz suchen, der ungefährlicher ist.“
„Guck mal hier, der Schlips hängt so schön schief auf dem Sakko, da können wir wunderbar runter rutschen, fast wie rodeln auf dem Popo“, jubelte Grappa und nahm Anlauf. Die anderen rutschten begeistert hinterher und landeten auf der zusammengeknüllten Hose. Von unten sahen sie sich betreten ihre Rutschbahn an. Lauter Schokoladenstreifen auf dem Schlips und auf der Hose Schokoflecke und viele Nusskrümel. Auf dem Schlips glänzten braune und rötliche Flecke. „Oh, oh…das sieht nicht gut aus. Und die Flecke da, hej wer konnte da nicht an sich halten?… Wir werden Ärger mit Martin bekommen“, sagte Calvados, „sehen wir uns lieber das Zimmer an.“
„Seht mal hier, wie Martin schläft, ist das ulkig“, Whisky war auf das Bett gesprungen. „Wieso ulkig?“, wollte Cognac wissen. Neugierig ging er ganz dicht an das Gesicht von Martin.
„Er schnarcht ganz fürchterlich, aber sieh mal hier, wenn er pustet, wackeln die Barthaare.“ Plötzlich grunzte Martin tief auf und drehte sich ruckartig auf die Seite. Cognac konnte nicht mehr wegspringen und Martin rollte sich auf die kleine Praline. Es knirschte und knackste und ein bräunlicher, schmieriger, klebriger Fleck machte sich auf dem Kopfkissen breit. Ein paar Stücke von der Zuckerkruste klebten in Martins Bart.
„Wenn wir so weitermachen, dann ist der Adventskalender morgen früh leer“ sagte Zwetschgenwasser, „Martin sollte sich über uns freuen und nun haben wir nur Unfug angestellt. Wir müssen das in Ordnung bringen, los Cassis, hol den Nussknacker vom Adventskalender, der muss uns helfen.“ Cassis kam mit dem mürrisch dreinschauenden Nussknacker wieder. „Wass wollt ihr von mir. Ich kann hier gar nichts machen. Wenn irgendeiner das in Ordnung bringen kann, dann der Nikolaus.“ Er drehte sich um und stakste hölzern zurück zu seinem Platz vor dem Kamin auf dem Adventskalender. „Ich suche den Nikolaus“, sagte Kirschwasser „der ist doch heute Nacht unterwegs.“
Es dauerte nicht lange, da kam Nikolaus herein und hielt Kirschwasser in der Hand. „Was höre ich da, was habt ihr hier bloß angestellt?“, brummte er, „und ich soll nun diese ganze Schweinerei wieder in Ordnung bringen? Wie seht ihr überhaupt aus, schaut euch doch mal an! Meint ihr, so sehen feine Nusspralinen mit Schnapsfüllung aus?“ Nikolaus schüttelte den Kopf. „Also gut, für Martin, denn der hat so ein Chaos nicht verdiehnt. Los stellt euch auf.“ Nikolaus nahm den Tannenzweig in die Hand, der auf einmal anfing zu glitzern und zu klingen. Er ging damit durch den Raum und alles war wieder sauber, ordentlich und an seinem Platz.
Die Kirchturmuhr schlug 1 Uhr.
Der Wecker fiepte laut und durchdringend.
Martin rollte sich aus seinem Bett. Vorsichtig sah er sich um, aber es sah alles noch so aus wie gestern, nur seine Sachen lagen ordentlich zusammengelegt auf dem Stuhl.
„Oh mein Kopf“, stöhnte er „hab` ich einen Scheiß geträumt letzte Nacht“, er rieb sich die Schläfen.
„Vielleicht sollte ich auf Apfelsaft umsteigen, Alkohol bekommt mir wohl nicht mehr.“
Originally posted 2020-12-04 08:21:00.