Vor einiger Zeit, es war so im März, als die Krise begann, da kam eine liebe Freundin ganz aufgeregt zu mir und sagte, dass das Virus jetzt auch zu uns nach Deutschland käme. Was für ein Virus?
Ja, du weißt schon, sagte sie, das Virus, das schon in China so schlimm gewütet hat. Sie war total aufgeregt, außer sich und meinte, ich müsse mich nun auch unbedingt vorbereiten.
Alle täten das, sie selbst auch, weil es ganz schlimm werden könnte.
Wie, was, womit vorbereiten. Was kann man denn tun? Kann man überhaupt was tun?
Nun stell dich nicht so an. Du weißt doch, dass die Menschen in China nach Lebensmitteln angestanden haben und es nicht genug zu essen gab. Wenn das auch bei uns passiert, also du musst dich unbedingt vorbereiten.
Ich wurde ganz kleinlaut, sag mir doch, was muss ich denn nun ganz genau machen?
Da gibt es nur eins – du musst Hamsterkaufen !!!
Mach ich, und du meinst das hilft, wenn ich Hamster kaufe?
Sicher, alle gehen jetzt Hamsterkaufen.
In vielen Geschäften gibt es schon Engpässe.
So schlimm hatte ich mir das nicht vorgestellt.
Also ging ich am nächsten Tag los, um Hamster zu kaufen.
Wo kann man denn Hamster kaufen? Die Freundin sagte überall.
Also ging ich in den nächsten Supermarkt, zu Rewe. Da begann das Problem.
Wie waren die Hamster verpackt? Waren die überhaupt verpackt oder musste man die selbst eintüten? Im Plastebeutel oder im Mehrwegnetz?
Wie groß waren die Hamster eigentlich?
Brauchte ich eine große Tasche, oder waren die schon kleinteilig zurecht gelegt?
Ich ging die Regale rauf und runter, aber keine Hamster.
Dann ging ich schnurstracks zu Lidl und danach zu Aldi. Auch hier keine Hamster. Sicher waren Hamster auch keine reguläre Ware, eher im Sonderangebot. Ich suchte alle Körbe ab. Nicht ein Hamster.
Langsam wurde ich hektisch.
Marktkauf, das war ein großer Supermarkt. Die haben bestimmt auch Hamster.
So viele Reihen, so viele Regale, so viele Körbe, nur keine Hamster.
Völlig entnervt fuhr ich zu Real. Auch hier in diesem riesigen Markt fand ich keine Hamster. Ich sah sogar noch in den Kühltruhen nach. Vielleicht gab es Hamster ja als Tiefkühlkost. Nichts.
Der Erschöpfung und den Tränen nahe fragte ich eine Verkäuferin, die gerade an einem Regal mit dem Einräumen von Waren beschäftigt war.
Hamster???
Erstaunt schüttelte sie den Kopf und meinte, Hamster müsse ich doch in einem Zooladen kaufen. Das sind doch Tiere. Im MEZ gäbe es doch so einen Laden.
Natürlich…, das war die Idee.
Ich fuhr nach Gägelow und stürzte in den Zooladen.
Auf meine, nun schon bange Frage nach Hamstern, nickte der Verkäufer freundlich und mir fiel ein Stein vom Herzen. Endlich. Gott sei Dank, ich war gerettet. Der Verkäufer sagte, dass sie Zwerghamster führen. Zwerghamster, na ja, die sind also nicht so groß, aber besser als gar kein Hamster.
Gut, nehme ich, wie viele kann ich haben?
Einen habe ich noch, sagte er. Wie, einen einzigen??? Oh, nein.
Wie viele wollten sie denn und wozu brauchen Sie denn viele Hamster?
Ich konnte dem doch nun nicht sagen, dass die meine Lebensmittelreserve sein sollen.
Also lieber einen als keinen. Den nehme ich.
Wie verpacken sie den Hamster, fragte ich vorsichtig und überlegte, ob ich den wohl in mein kleines Auto verstaut kriege. Für den Transport reicht ein kleiner Karton beruhigte er mich und Sie setzen ihn dann gleich in den Käfig.
Welchen Käfig? Konnte ich den nicht einfach im Karton in das Regal im Keller legen? Nein, geht natürlich nicht. Das ist ja ein Lebewesen.
Also nahm auf Anraten des Verkäufers einen Käfig mit und machte mich auf den Heimweg.
Zu Hause angekommen ließ ich den Hamster in den Käfig, sein Zuhause, … vielleicht auf Zeit.
Ganz verstört saß er da, rührte sich nicht und starrte mich aus seinen schwarzen Knopfaugen an. Die langen Barthaare zitterten, die kleinen Vorderpfoten hielt er vor dem Bauch. Hatte der schon Angst?
Mein Gott, ne war der klein!
Der sollte mich über eine Hungersnot retten können?
Ein paar Tage später klingelte es an der Tür. Der Nachbarsjunge stand davor.
Ich hatte ihn bisher nur als lautstarken Rüpel erlebt, der im Hausflur mit anderen Kindern rumtobte. Nun stand der Bengel da und fragte ganz freundlich, ob seine Mutter für mich einkaufen soll. Ich wäre doch in der Risikogruppe und müsse zu Hause bleiben. Seine Mutter kaufe ein. Er verteile dann die Bestellungen und gebe die Tüten an der Tür ab. Alles mit Abstand.
Das fand ich sehr nett und aufmerksam.
So kam es, dass er regelmäßig von mir einen Bestellzettel bekam und alle Einkäufe zuverlässig erledigt wurden.
Nachdem er ein paar Mal die Einkaufsbeutel übergeben hatte, blieb er unschlüssig an der Tür stehen und äugte an mir vorbei in meine Wohnung.
Ist noch was? Er druckste ein wenig rum. Dann fragte er mich, ob das Tier dort im Käfig echt wäre, weil es immer so still und bewegungslos am Gitter hockt.
Ja, das ist ein Hamster.
Was frisst denn so ein Hamster?
Ich schaute den Jungen erstaunt an. Wieso fressen? Den will ich doch im Notfall essen. Aber das konnte ich ihm doch jetzt nicht so sagen.
Weil…, der sieht so mager aus, kam vorsichtig von dem Jungen.
Kurze Zeit später stand er wieder vor der Tür und reichte mir eine kleine Tüte mit einer Mohrübe, einem Apfel und ein wenig trockenes Gras. Das ist für den Hamster.
Woher willst du denn wissen was der braucht? Na, aus dem Internet.
Die Antwort kam so promt und so vorwurfsvoll, als müsse ich das doch wissen.
Nun war ich wirklich ein bisschen irritiert. Dass der Hamster auch was zu fressen haben wollte, daran hatte ich nicht gedacht. Ja, natürlich, es war ja ein lebendes Wesen.
Wirklich aufmerksam von dem Jungen.
Der dachte jetzt wahrscheinlich, so eine vertrottelte Alte.
Als ich dem Hamster die Mohrübe und den Apfel kleingeschnitten in den Käfig legte, stürzte der gleich darüber her. Also hatte er wirklich Hunger.
Zu blöd, ich konnte doch meine Notversorgung nicht verhungern lassen.
Der Junge fragte nun jedes Mal wie es dem Hamster geht.
Jetzt war auf meinem Einkauszettel auch immer was für Hamsterchen und er wurde zunehmend zutraulicher.
Ich begann mich mit dem Hamster zu unterhalten. Das hieß allerdings ich redete und er schaute mich immer an, als verstünde er was ich ihm erzähle. Alle meine Sorgen konnte ich mir endlich von der Seele reden und Hamsterchen hörte zu. Es war wunderbar. Er gab nie dämliche Antworten. Niemals widersprach er oder unterbrach mich, weil es ihm zu lange dauerte und er nicht mehr zuhören wollte. Er erzählte mir auch nicht ständig Sachen von Leuten, die ich nicht kenne und versuchte mir irgend was zu erklären, das mich eigentlich nicht interessierte.
Hamsterchen war wirklich ein sehr wohltuender und angenehmer Gesprächspartner.
Der Junge, der mich mit den Lebensmitteln versorge und was ich sonst noch so brauchte, wurde dagegen immer trauriger und einsilbiger.
Es tat mir leid und ich fragte ihn, was er denn für Sorgen hätte. Und da brach es aus ihm heraus. Er hätte niemanden zum Reden. Seine Mutter wäre abends immer so ko, wenn sie von der Arbeit kam und dann mochte er sie nicht auch noch stressen. Seine Freunde durfte er nicht zum Spielen treffen. Quatschen nur am Telefon war doof. In die Schule, die er sonst manchmal verflucht hatte, würde er so gern gehen. Aber die Lehrerin sah er höchsten auf dem Computer und lernen müsse er allein. Das machte alles keinen Spaß mehr.
Da hatte es der Junge wahrscheinlich auch nicht so ganz leicht.
Ich hatte Hamsterchen, nicht mehr als Notverpflegung, sondern inzwischen als Freund. Zu essen gab es genug, da brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu machen und meine Freundinnen konnte ich auch bald wiedersehen.
Ich werde mal mit der Mutter des Jungen reden, ob sie was dagegen hätte, wenn ich Hamsterchen dem Jungen schenken würde. Der hatte mir mal erzählt, dass er gern ein Haustier hätte. Ich glaube, dass der ihn jetzt nötiger hat als ich.
Hamster-Kaufen war dann doch eine gute Idee.
Originally posted 2020-10-20 09:09:00.