Die Mächtigen der Welt waren und sind auch noch heute unfähig, Frieden zu bewahren. So war es auch damals an der holländischen Grenze bei Winterswijk. Die Zollhäuser mussten geräumt werden. Eine Zöllnersfrau suchte für sich und ihre Kinder, Jürgen und Marte, eine neue Bleibe. Am vier Kilometer entfernten Stadtrand fand sie eine leere Villa. Der dazugehörende große Park war ein Kletter- und Schaukelparadies für die Geschwister. Der Wintergarten bot viel Platz für Spiele mit den Nachbarskindern. Das tägliche Leben bestritt die junge Frau allein. Ihr Mann wurde noch vermisst.
Waren die Kinder in der Schule, fuhr sie mit dem Fahrrad zu den umliegenden Bauerhöfen und versetzte alles an Inventar aus dem Zollhaus, was sie nicht mehr brauchte. An Variete-Künstler vermietete sie eine möblierte Dachkammer, das brachte ihr Freikarten und Mietgeld ein und hin und wieder Geschenke für ihre Kinder.
Eine Weihnachtsfeier blieb für Marte in guter Erinnerung, als sie sieben Jahre alt war. In der Vorweihnachtszeit lag eines Morgens ein Puppenschuh vor dem Kleiderschrank, den sie sofort an sich nahm. Jedes Mal, wenn sie sich zum Schnüffeln auf die Fährte begeben wollte, hörte sie ein Geräusch vor der Tür, bis „der“ Tag kam, als ihre Mama eine Freundin besuchte. Auf dem Schrankboden, unter vielen Decken, fand sie die schönste Puppe der Welt.
Das dunkle Haar fiel lang über das rote Pünktchen-Kleid. Die blauen Augen blickten Marte so freundlich und lebendig an, dass sie sich sofort verführt fühlte, die Puppe in den Arm zu nehmen.
Dabei bemerkte sie einen geheimnisvollen Schlüssel am Rücken. Neugierig drehte sie diesen um. Ein Summen war zu hören, und die Puppe wedelte mit den Beinen in der Luft, als wollte sie auf den fehlenden Schuh hinweisen. Ein wenig erschrocken erfüllte Marte diesen Wunsch unverzüglich. Mit gutem Stand stellte sie die Wundersame auf den glatten Boden. Erwartungsvoll wiederholte sie den Dreh. Schritt vor Schritt lief die Puppe los, bewegte die Arme auf und ab und den Kopf hin und her. Marte fühlte sich wie im Traum, vergaß aber nicht die Zauberhafte rechtzeitig zurück in den Schrank zu legen. Die Tage vergingen viel zu langsam, bis es endlich so weit war.
Wie in den letzten Jahren, weckte ein zarter Glockenton Jürgen und Marte. Beide, schon angezogen, stürzten durch langen Flur nach vorn in das festlich geschmückte Wohnzimmer. Verdeckt lagen die Geschenke unter dem Lichterbaum. Dahin legten auch die Geschwister ihre, für Mama.
Nach dem Weihnachtsgedicht und dem gemeinsamen Singen war die Bescherung, das Suchen konnte beginnen.
Marte hatte schon zuvor ungeduldig umhergeschaut mit der brennenden Frage, wo die Schönste aller Puppen versteckt sein könnte. Sie fand leider nur einen Malblock und Buntstifte, Wolle und ein Bühnenspiel. War die Puppe etwa ein Geschenk für die Tochter einer Freundin von Mama? Zuerst unwillig und enttäuscht setzte sie sich in den großen, gemütlichen Sessel, und ließ sich schnell durch die Theaterbühne mit Schiebekulissen und märchenhaften Papierfiguren ablenken. Derweil beschäftigte sich Jürgen mit dem Baukasten. Als Marte aufschaute, hielt er einen soeben entdeckten Ball in der Hand, machte einen Probeschuss und traf exakt die mundgeblasene Vase auf dem Eichenschrank, Mamas Lieblingsstück. Wortlos schaute diese jetzt traurig und enttäuscht drein, wie zuvor Marte. Erschrocken und ängstlich suchten die Geschwister nach den kostbaren Scherben am Boden. Mama war ungewöhnlich schweigsam. War es der Schreck oder die Sorge um Martes und Jürgens Hände?
Ein Freudenschrei durchdrang die Stille im Raum. Marte hatte einen Puppenschuh unter dem großen Sessel gesehen. Überrascht und beglückt wollte sie die Schöne befreien, das ging aber nur mit Hilfe ihres drei Jahre älteren Bruders. Aus Dank und dem Wissen, dass allein die Technik Jürgen interessierte, führte sie ihm stolz das Wunderwerk vor.
Wie oftmals in Gedanken geübt, klappte Marte den Teppich hoch, stellte die Puppe auf den glatten Boden und drehte den versteckten Schlüssel mehrfach um. Die Puppe lief los, schaute freundlich grüßend hin und her und winkte Mama und Jürgen zu. Jürgen sann über das Innere der Puppe nach. Mama staunte über die gelungene Vorstellung.
Martes Freude spiegelte sich in allen Gesichtern wieder. Mamas- und Martes Augen glänzten strahlender als der Kerzenschein. Dieser Moment der Freude war wie eine Ewigkeit.
Kriege gab es jahrhundertelang. Die
Originally posted 2020-12-15 09:59:00.